Grundlagen der Mediation

Aggression – was im Hirn dabei passiert

Die Grundmotivationen des Menschen sind:

  • Gesehen werden
  • Gehört werden
  • Zugehörigkeit.

Das erklärt die toxischen Effekte von Demütigung und Ausgrenzung.

Der Haupttrieb des Menschen ist heute eindeutig geklärt. Alle Wesen streben nach angenehmen Empfindungen. Das sagte bereits Charles Darwin. Und Sigmund Freud machte daraus das Lustprinzip. Ich fragte mich aber auf neurowissenschaftlichen Grundlagen. Wonach eigentlich streben Menschen? Gewiss, ich wollte dabei dem Irrglauben entgegentreten, dass der Mensch von sich aus nach Aggression strebt.

Wir Neurowissenschaftler fragten uns: „Was bringt die Motivationssystem in Aktion? Also die Hirnzone, in der Dopamin, Opioide, Oxytozin ausgeschüttet werden?“ Das sind Stoffe, die uns gute Gefühle verleihen. Die Antwort lautet: Es reicht bereits aus, wenn uns ein anderer Mensch freundlich anschaut. Akzeptanz und Wertschätzung ist folglich, was uns gut fühlen lässt.

Ich gebe Ihnen dafür ein Beispiel: Wenn Sie am Boden liegen und Schmerzen haben. Dann hilft alleine der Umstand, dass jemand sagt: „Ich werde Ihnen helfen.“ Dies führt dazu, dass im Hirn ­Opioide, ausgeschüttet werden, die körpereigenen Schmerzmittel.

Der Mensch braucht das Gefühl von Akzeptanz

Um gesehen zu werden sind Menschen bereit, jede Menge zu tun. Es geht ihnen ums Gesehen-Werden sowie um Akzeptanz und Wertschätzung. Menschen sind etwa bereit zu arbeiten,weil viele Aspekte der Arbeit dazu führen, dass man gesehen wird. Lohn zum Beispiel oder soziale Anerkennung.

Eine grundlegende Motiviation des Menschen ist auch: Von andern gehört zu werden. Alleine wenn jemand seine Gefühle offenbaren kann, wird das Motivationssystem aktiviert. Worauf aber zielen die Motivationssysteme des Gehirns? Die aktuelle Neurowissenschaft antwortet so: Menschen wollen nicht verwöhnt, sondern persönlich gesehen, wahrgenommen und anerkannt werden. Der Mensch ist bereit, für Beachtung und Anerkennung vieles zu tun. Wir wissen aus andern Wissenschaften heute darüberhinaus:; Es gibt keine Motivation und keine Gesundheit ohne hinreichend gute soziale Beziehungen.

Für Akzeptanz tun wir auch Böses

Die gute Seite der Motivationssysteme liegt in der Orientierung auf soziale Akzeptanz. Das hat aber auch eine Kehrseite. Denn wir sind fast suchtartig abhängig davon, dass wir Rückmeldungen kriegen. Wir sind sogar bereit alles dafür zu tun, auch Böses. Der US-Neuroswissenschaftler Thomas R. Insel fragte sich, ob soziale Akzeptanz eine Suchterkrankung ist. Die Antwort ist Ja.

Was bedeutet dies für Menschen in einem Konflikt?

Ausgrenzung und Demütigung aktivieren die Schmerzsysteme des Gehirns. Es gibt im Gehirn etwa vier Netzwerke, die aktiv werden, wenn man uns weh tut. Der Schmerz über soziale Ausgrenzung findet in derselben Hirnzone statt wie der unerträgliche körperliche Schmerz.

Merken Sie sich dies: Auf Schmerz folgt immer Aggression. Darüberhinaus kennen wir das Phänomen der Aggressionsverschiebung.

  • Es gibt die Verschiebung entlang der Zeit (Nachwirkungen früherer Verletzungen).
  • Und es gibt die Verschiebung bezüglich des Adressaten. (Man verschiebt Frustration über Vorgesetzte beispielsweise in die Partnerschaft.)

Die soziale Funktion der Aggression

Das menschliche Gehirn bewertet Ausgrenzung und Demütigung so wie zugefügten körperlichen Schmerz. Daher führt nicht nur körperlicher Schmerz zu Aggression, sondern auch soziale Ausgrenzung und Demütigung. Wer mit andern Menschen privat gut verbunden ist, zeigt in einer akuten Ausgrenzungssituation eine Reaktion der Schmerzmatrix.

Wie verstehen wir uns überhaupt gegenseitig? Anders gefragt: Warum und wie können Menschen andere Menschen verstehen? Zwei Wege möchte ich nennen:

1. Intuitive Einfühlung

Darunter verstehe ich Miterleben und Mitfühlen, ohne Nachdenken, Resonanz, Ansteckung. Resonanz bedeutet: Ein Körper ist in der Lage, seine Schwingung auf den andern zu übertragen. Die Stimmgabel wäre hierfür ein Beispiel. Spiegelzellen machen aus Beobachtung ein inneres Miterleben. Daraus entsteht das intuitive Verstehen und Mit-Fühlen. Es sind übrigens Sprache und Körpersprach, die  Spiegelung und Resonanz auslösen. Die intuitive Einfühlung funktioniert auch beim Optimismus. Er ist eine wichtige Botschaft, und er ist ansteckend.

2. Perspektivenwechsel

Man könnte hier auch von Selbstprojektion sprechen. Der Mensch benützt seine inneren Vorstellungen darüber, wie er selbst tickt, um zu entschlüsseln, wie andere ticken.

„Mediative Haltung und kooperatives Handeln: Was können wir Mediatoren von den sozialen Neurowissenschaften lernen?“. Referat in Bern am 16. November 2016 von Gehirnforscher Prof. Dr. med. Joachim Bauer, Universitätsklinikum Freiburg.